Kerner - Amtsmissbrauch Jugendämter brutal und rücksichtslos
Im Zweifel gegen die leiblichen Eltern
Missbrauchsprozess - Wie viel Schuld hat das Jugendamt
Die Allmacht der Jugendämter 1/2
Die Allmacht der Jugendämter 2
„Die Bürger werden in solchen Situationen leider nicht über ihre Rechte aufgeklärt"
Justin
Sehnsucht nach Justin
- von Hinrich Rohbohm -
Sabrina Mirbeth mit Foto ihres Sohnes
„Da wird mit den Kindern eine Menge Geld verdient“
Zielstrebig geht Sabrina Mirbeth auf die Wand ihres ordentlich aufgeräumten Zimmers zu. Dort, wo eines jener zahlreichen Fotos ihres drei Jahre alten Sohnes Justin hängt. Die Bilder sind
für die 22 Jahre alte Auszubildende eine Brücke zu ihrem Kind. Nur zweimal in der Woche darf sie Justin sehen. Samstags und sonntags. Maximal zwei Stunden pro Tag. So hat es das Kinderheim, in
dem ihr Sohn leben muß, angeordnet. „Er hat Angst“, sagt Sabrina mit brüchiger Stimme. Manchmal, so erzählt sie, klopfe er an Wände, vermutet, daß dahinter seine Familie sei. Jene Familie, die
von Justin getrennt ist, weil Behörden so entschieden haben.
Eigentlich hatten sie alle unter einem Dach leben wollen. Justin, seine Mutter und die Großmutter. In einer gut 60 Quadratmeter großen Wohnung im Münchner Stadtteil Sendling. Küche,
Wohnzimmer und Schlafzimmer sind aufgeräumt. Justins Großmutter reicht belegte Brote, Sabrinas Schwester schenkt Getränke ein. Für ihre Zwergkaninchen und Zwergpapageien hat die Familie Gehege
gebastelt. Die Käfige sind sauber, die Tiere gepflegt. Auffällig sind nur die zahlreichen Familienfotos, die überall in der Wohnung hängen. An den Wänden, an den Türen und an den Schränken. Die
meisten davon zeigen Justin mit seiner Mutter.
„Ich möchte nicht ins Mutter-Kind-Heim“
Sabrina Mirbeth war 18 Jahre alt, als sie von ihrem zwei Jahre jüngeren Freund schwanger wurde. Sie hatte den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) aufgesucht, um Hilfe bei der Suche nach
einem Krippenplatz gebeten. „Ich brauchte den Platz, weil ich eine vom Arbeitsamt finanzierte Ausbildung zur Dienstleistungshelferin absolvieren wollte“, sagt sie. Sabrina hat Pläne, will einen
qualifizierten Hauptschulabschluß erwerben, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Sie solle sich selbst um einen Krippenplatz kümmern, habe man ihr beim ASD zunächst zu verstehen gegeben. Sie tat es. „Sie brauchen mehr Unterstützung“, habe ihr der ASD dann nahegelegt.
Sabrina Mirbeth solle mit ihrem Sohn in ein Mutter-Kind-Heim ziehen. „Wir hatten da von Anfang an ganz andere Vorstellungen, aber die sind überhaupt nicht auf uns eingegangen“, erinnert sich
Sabrinas Mutter. „Ich möchte nicht ins Mutter-Kind-Heim“, habe Sabrina dem ASD ausdrücklich zu verstehen gegeben.
Psychischer Druck auf die werdende Mutter
Doch die ASD-Vertreter hätten darauf bestanden, regten gegenüber dem Amtsgericht München schon vor der Geburt des Kindes eine „einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf einen Vormund“
an. Sabrina Mirbeth sei mit einem Kind überfordert, war der ASD, der für eine Stellungnahme nicht zu erreichen war, überzeugt. Unter anderem aufgrund von „Minderbegabung, Entwicklungsrückständen,
Defiziten in Sprache und Sprachverständnis, Verwahrlosungstendenzen, Mitläufertum und mangelndem Realitätsbezug“, wie es in einem Schreiben des ASD an das Amtsgericht vom Februar 2009
heißt.
Man habe ihr zu verstehen gegeben, daß man ihr das Kind ganz wegnehmen könne, würde sie den Vorschlag ablehnen, in eine Mutter-Kind-Einrichtung zu ziehen. Sabrina unterschrieb schließlich
Vollmachten, gab ihr Sorgerecht noch vor der Geburt ihres Sohnes ab. „Ich hatte Angst“, nennt sie den Grund für ihre Unterschrift. Damals habe sie sich vom ASD unter Druck gesetzt
gefühlt.
„Da wird mit den Kindern eine Menge Geld verdient“
„Die Bürger werden in solchen Situationen leider nicht über ihre Rechte aufgeklärt“, sagt Joachim Hinz, Sprecher einer Elternbewegung, die sich ehrenamtlich für Väter und Mütter einsetzt,
die ihre Kinder an den Staat verloren haben. Sabrina hätte ein Beschwerderecht gehabt, darauf hätte man sie hinweisen müssen, kritisiert er und betont, daß dies leider kein Einzelfall
sei.
Opfer solcher Vorgänge seien vor allem Eltern mit geringer Bildung und geringem Einkommen. „Da wird mit den Kindern
eine Menge Geld verdient“, meint Hinz, der davon ausgeht, daß im Zusammenspiel von Gutachtern, Gerichten, Jugendämter und Sozialdiensten auch eine Menge Korruption im Spiel
ist.
Der Sohn durfte nicht mitkommen
Bei Sabrina Mirbeth habe man es auch unterlassen, ihr einen Verfahrensbeistand zur Seite zu stellen. „Die Gerichte folgen meist den Stellungnahmen der Jugendämter. Als Gutachter werden
zumeist immer die gleichen Leute beauftragt“, moniert Hinz, der zudem die fehlende Fachaufsicht für Jugendämter für problematisch hält. Nur wenn eine akute Kindeswohlgefährdung vorliege, dürfe
das Sorgerecht entzogen werden. „Das war hier aber nicht der Fall“, so Hinz.
Sabrina zog hochschwanger in ein Mutter-Kind-Heim. Sie schildert ihre stetige Angst, das Kind zu verlieren, spricht von Drohungen, daß man ihr ihren Sohn wegnehme, sollte sie die
Heimregeln mißachten. Ihre Sprache ist klar und verständlich. Ihr Sohn wurde zu zahlreichen Untersuchungen geschickt, sie selbst gar für drei Tage in eine Psychiatrie eingewiesen. Ergebnis: alles
in Ordnung.
„Aber Justin wirkt total verunsichert, ihm fehlt seine Familie“, sagt Sabrina, die wieder bei ihrer Mutter lebt. Sie hatte resigniert, hatte es im Heim einfach nicht mehr ausgehalten.
Ihren Sohn durfte sie nicht mitnehmen. Sabrina Mirbeth will weiter um Justin kämpfen. Sie hat sich jetzt einen Anwalt genommen, um das Sorgerecht für ihren Sohn zurückzubekommen.
Die Story im Ersten: Mit Kindern Kasse machen Wenn Jugendhilfe zum Geschäft wird | Das Erste
Jeden Tag werden im Durchschnitt 100 Kinder und Jugendliche aus ihren Familien genommen und in Einrichtungen untergebracht. Die Jugendämter wollen sie vor ihren Eltern schützen und verhindern, dass sie vernachlässigt oder gar misshandelt werden. Diese "Inobhutnahmen sind seit 2005 um 64 Prozent gestiegen. Doch nicht allen geht es allein um das Wohl der ihnen anvertrauten 140.000 Kinder und Jugendlichen. Längst ist die Jugendhilfe auch ein großes Geschäft geworden.
Jeden Tag werden im Durchschnitt 100 Kinder und Jugendliche aus ihren Familien genommen und in Einrichtungen untergebracht. Die Jugendämter wollen sie vor ihren Eltern schützen und verhindern, dass sie vernachlässigt oder gar misshandelt werden. Diese "Inobhutnahmen sind seit 2005 um 64 Prozent gestiegen. Sie sind traumatisierend für die Seelen der Kinder. Aber nötig und sinnvoll, wenn sie zuhause wirklich in Not sind und in Heimen besser betreut werden und sich entfalten können.
Die Jugendämter, die diese "Inobhutnahmen beschließen, sind unter Druck:
Fehlentscheidungen können das Leben der Kinder und ihrer Familien zerstören. Doch sie sind allerorts überlastet. Nicht selten betreuen Mitarbeiter bis zu 90 Familien. Sie beauftragen freie Träger, sich um die Unterbringung der Kinder zu kümmern. Eine der sensibelsten Aufgaben des Staates, die Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Not, ist nahezu komplett privatisiert.
Der Markt der stationären Einrichtungen wächst und ist lukrativ. Ein einziger Platz in einem Heim kostet die Kommunen im Jahr rund 50.000 Euro. Doch ob dieses Geld wirklich zum Wohl der Kinder und Jugendlichen verwendet wird, wird kaum überprüft:
Den Jugendämtern fehlt die Zeit und ihre Eltern sind dazu nicht in der Lage. Wenn junge Menschen über Missstände in ihren Einrichtungen klagen, dann wird ihnen wenig Gehör geschenkt. So gerät das Heer der freien Jugendhilfeträger - darunter Privatunternehmer, Verbände, gemeinnützige Vereine - selten ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Doch nicht allen geht es allein um das Wohl der ihnen anvertrauten 140.000 Kinder und Jugendlichen. Längst ist die Jugendhilfe auch ein großes Geschäft geworden.
Ein Film von Nicole Rosenbach und Anna Osius