§ 1684 BGB - Umgang mit Kindern in Familienpflege -

 Umgang mit Kindern in Familienpflege

– Voraussetzungen und Grenzen

 

"Kindeswohl und Kindeswille in Sorge- und Umgangsstreitigkeiten"

 

Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen Pflegekinder, bei denen erhebliche Konflikte um den Umgang mit ihnen durch ihre Eltern bestehen. Es geht hier nicht um funktionierenden oder nicht mehr bestehenden Umgang von in Familienpflege lebenden Kindern mit der Herkunftsfamilie. Es geht auch nicht zentral um den Umgang bei kurzfristiger Familienpflege von wenigen Monaten, wo etwa wegen einer absehbaren stationären Behandlung der Eltern ein Krankenhaus- oder Sanatoriumsaufenthalt eine Betreuung des Kindes in einer Kurzzeitpflege vorübergehend erforderlich macht. Im Zentrum des Beitrages stehen mehrfach vorbelastete, zumeist traumatisierte Pflegekinder, die wegen erheblicher Gefährdungen unterschiedlicher Art nicht mehr mit ambulanten Hilfen in ihrem Herkunftsmilieu erreichbar waren und deshalb auf Dauer in Familienpflege leben. In solchen Fällen stellen sich die Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen des

 

Umgangs in ganz spezifischer Weise.

 

1. Trends und wenig Transparenz

 

Zu den Schwerpunkten der Kindschaftsrechtsreform von 1998 zählt eine in mehreren Bestimmungen vorzufindende Neubewertung des Umgangsrechts. Leider nimmt die Zahl der gerichtlich ausgetragenen Konflikte in diesem Bereich ständig zu und scheint den Höhepunkt noch nicht überschritten zu haben[1].

 

Bei genauerer Betrachtung der veröffentlichten Entscheidungen zeigt sich, dass im Mittelpunkt der weit überwiegenden Zahl dieser Streitigkeiten Auseinandersetzungen unter getrennt lebenden Eltern um das Umgangsrecht stehen, während sich nur wenige finden lassen, die sich mit dem Umgang von in Familienpflege lebenden Kindern befassen. Nach wie vor verfügen wir über keine systematische Erfassung und Auswertung der gerichtlichen Praxis zu Umgangskonflikten bei diesen Kindern. Auf Pflegekindschaftsfälle spezialisierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wie auch die Fachverbände in diesem Bereich berichten von einer Verschärfung der Auseinandersetzung um den Umgang auch bei Pflegekindern seit Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform. So berichten sie etwa, dass selbst bei Kindern, die wegen erheblichen Verletzungen[2] durch ihre Eltern fremdplaziert werden mussten und auch bei massivem Widerstand dieser Kinder einzelne der inzwischen zuständig gewordenen Familiengerichte auf Umgang und auf Rückführung dieser Kinder zu ihren leiblichen Eltern bestehen. Nach Einschätzung dieser Praktiker wären in der Mehrzahl solcher Fälle noch unter der früheren Zuständigkeit der Vormundschaftsgerichte vor 1998 Umgangsbeschränkungen bzw. –ausschlüsse ergangen. Bei einer Durchsicht der allgemein zugänglichen Entscheidungen in diesem Bereich bestätigt sich dieser Praxistrend nicht unbedingt; hier finden sich inzwischen einige wenige Entscheidungen, meistens von Oberlandesgerichten, die diese Berichte keineswegs bestätigen, vielmehr bei den oben berichteten oder vergleichbaren Konstellationen durchaus auch Entscheidungen mit Umgangsbeschränkungen treffen.

 

Diese in der Anzahl wenigen Entscheidungen vor allem von Oberlandesgerichten entkräften aber allerdings den berichteten Trend keineswegs; die wenigsten erstinstanzlichen Entscheidungen aus diesem Bereich werden veröffentlicht, und nur eine geringe Anzahl von Entscheidungen wird mit Rechtsmitteln angegriffen. Häufig kommt es nach Praxisberichten auch gar nicht zu gerichtlichen Anordnungen, weil sich die Pflegeeltern dem Druck von Jugendamt und/ oder Familiengericht beugen und Umgangsregelungen zustimmen, die sie innerlich – das Pflegekind oft offen - ablehnen. Hinzu kommt: Pflegeeltern steht nach h.M. gegen aus ihrer Sicht das Pflegekind und/oder ihr Familienleben beeinträchtigende Umgangsentscheidungen der Familiengerichte kein Rechtsmittel zu[3]. Gegen diese durch die Kindschaftsrechtsreform entstandene Rechtslage bestehen m.E. schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken, weil sie der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten verfassungsrechtlichen Stellung der Pflegefamilie[4] nicht gerecht wird. Dieser verfassungsrechtliche Schutz der Pflegefamilie muss sich auch im gerichtlichen Verfahren niederschlagen; so bleibt nur zu hoffen, dass sich dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit bietet, hier für Klarheit zu sorgen.

 

 2. Pflegekinder sind keine „Scheidungskinder“

 

Die einschlägige familienrechtliche Regelung des Umgang findet sich in § 1684 BGB. Dem Wortlaut dieser zentralen Bestimmung des Familienrechts ist nicht zu entnehmen, dass die Regelung ohne weiteres auch dann gelten soll, wenn das Kind nicht (mehr) bei seinen Eltern, auch nicht bei einem Elternteil lebt. Der Wortlaut des § 1684 BGB, die umfangreiche Fachliteratur aus unterschiedlichen Disziplinen, empfohlene Standards zu Umgangsregelungen, Fachtagungen u.v.a.m., sie alle stellen den Umgang des bei einem Elternteil lebenden Kindes mit dem anderen Elternteil in den Mittelpunkt. Erst nach intensivem Suchen in der regierungsamtlichen Begründung zu § 1684 BGB wird man fündig: Hier finden sich zwar zunächst ebenfalls sehr lange und ausführliche Bemerkungen über die Bedeutung des Umgangrechts bei Trennung und Scheidung der Kindeseltern - sie stand ganz eindeutig im Mittelpunkt der intensiv geführten und kontroversen rechtspolitischen Debatte[5] um die künftige Ausgestaltung des Umgangsrechts im Kindschaftsrechtreformgesetz (KindRG). Nur ganz nebenbei erfolgt in diesem offiziellen Dokument eine für die Gesetzesanwendung wichtige Aussage: „Auch gegenüber Dritten, in deren Obhut sich das Kind befindet, wird dem Elternteil, der die Sorge hat, ein Umgangsrecht zugestanden (etwa gegenüber Pflegeeltern)“[6]. Schon wieder ist der juristischer Sachverstand gefordert, um diesen Satz richtig zu verstehen: Soll ein Elternteil, der die Sorge  n i c h t  hat, kein Umgangsrecht Dritten gegenüber, bei denen sich das Kind befindet, haben? Das wiederum kann nicht gemeint sein. Denn die h.M. wie die regierungsamtliche Begründung zum KindRG gehen davon aus, dass das Umgangsrecht kein Restbestandteil der elterlichen Sorge (§ 1626 BGB) ist, sondern sich aus dem natürlichen, von der Verfassung geschützten Elternrecht ergibt, d.h. auch Eltern ohne sorgerechtliche Befugnisse (gem. §§ 1671 Abs. 1, 1626a Abs. 2, 1666, 1666a BGB) zusteht: „Auf die Frage, wer Inhaber der Sorge ist, soll es nicht mehr ankommen“[7]. Sorgerechtsbeschränkungen wegen Kindeswohlgefährdung gem. §§ 1666, 1666a BGB – solche dürften etwa bei der Hälfte der Pflegekinder bestehen - führen folglich noch nicht automatisch zu Umgangsbeschränkungen; solche sind einer gegenüber § 1666 BGB vorrangigen Regelung und der Entscheidungsbefugnis des Familiengerichts gem. § 1684 Abs. 3, 4 BGB vorbehalten[8].

 

Erst allmählich - nach Abebben der sich vor und nach der Kindschaftsrechtsreform verbreitenden „Umgangseuphorie“ – scheinen Forderungen nach differenzierenden Herangehensweisen im Umgangsbereich mehr an Gewicht und Aufmerksamkeit zu erlangen. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz verschweigt zwar mögliche Zielkonflikte zwischen Umgangsrecht und Kindeswohl nicht, formuliert indes die Voraussetzungen für Beschränkungen bzw. Ausschluss des Umgangs fast durchgehend aus dem Blickwinkel des Elternstreits anlässlich Trennung und Scheidung und geht dabei von der Grundannahme positiver Wirkungen von Umgang auf das Kindeswohl aus (vgl. § 1626 Abs. 3 BGB), weshalb die Voraussetzungen für Umgangsbeschränkungen bewusst hoch angesetzt worden sind. Der Beziehungserhalt zwischen Kind und dem nicht den Alltag mit diesem teilenden Elternteil scheint nach den Einstellungen vieler Richter und zahlreicher psychosozialen Professionellen im Zentrum aller Bestrebungen zu stehen[9]. Zeitweilig drängte sich der Eindruck auf, dass die Beziehung des Kindes mit dem umgangsberechtigten Elternteil sogar wichtiger sei als ein gutes Verhältnis zum Betreuungselternteil, mit dem das Kind seinen Alltag teilt und wo es seinen Lebensmittelpunkt hat[10].

 

Für diese Fallkonstellationen kommt es erst allmählich zu Fragen nach der Qualität und den Voraussetzungen eines auch für das Kind förderlichen Umgangs. Im Zuge der Implementierung des Gewaltschutz- und des Kinderrechteverbesserungsgesetzes wird endlich auch mit Bezügen auf die nationale und ausländische Forschungslage die ansonsten regelhaft unterstellte positive Auswirkung des Umgang auf das Kindeswohl jedenfalls für Kinder mit erheblichen Vorbelastungen, wie etwa durch häusliche Gewalt, nicht mehr anerkannt. Auffallend ist angesichts der wissenschaftlich solide fundierten Forschungslage z.B. zu häuslicher Gewalt und Umgang[11] und deren Berücksichtigung in Gesetzgebung und Rechtsprechung in zahlreichen Ländern die verzögerte, bisweilen ganz ausbleibende Rezeption[12] dieser Wissensbestände in Deutschland.

 

3. Vorbelastungen von Pflegekindern und deren Auswirkungen

auf den Umgang

 

Pflegekinder haben häufig - im Gegensatz zum Regelfall des Kindes bei Scheidung und Trennung - eine unterbrochene, oft gestörte[13], nur zu oft überhaupt keine tragfähige Beziehung zu den Eltern[14]. Sozialrechtlich gesprochen - und die meisten Pflegekinder sind im Rahmen von „Hilfen zur Erziehung“ gem. §§ 27, 33 KJHG[15] in Familienpflege untergebracht, war eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung in der Herkunftsfamilie nicht gewährleistet (§ 27 Abs.1 KJHG) und die Fremdplatzierung des Kindes notwendig geworden. „Notwendig“ ist hier zumeist im wortwörtlichen Sinne zu verstehen: es bestand sehr häufig eine Notsituation, die dringender Abhilfe bedurfte, um eine nicht anders veränderbare erhebliche Defizit- und Gefährdungssituation zu beenden oder abzuwenden - ohne Not keine Fremdplatzierung. Wenn auch Trennung und Scheidung für die davon betroffenen Kinder erhebliche - auch langfristige - Belastungen bedeuten können[16], ist die Situation dieser Kinder i.d.R. nicht mit der von Pflegekindern vergleichbar – anders allerdings, wenn sie häuslicher Gewalt oder vergleichbaren Situationen ausgesetzt waren[17]. Die in- und ausländische Pflegekinderforschung nennt in großer Einmütigkeit eine Reihe von Inpflegegabegründen, von denen in der Regel mehrere gleichzeitig vorliegen: Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch, schwere psychische Störungen und Erkrankungen der Eltern, schwerwiegende Erziehungsunfähigkeit/-schwierigkeiten, emotionale Ablehnung des Kindes, gravierende Ehe-/Partnerprobleme, schwer belastende Eltern-Kind-Konflikte, Abwesenheit/Verschwinden/Tod von Elternteilen, Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Kriminalität[18]. Solchen gravierenden Problemlagen kann die Kinder- und Jugendhilfe mit ihrem ohnehin finanzpolitisch bedrohtem Interventionsrepertoire kaum begegnen.

 

Gefordert wären weit über ihren Handlungshorizont hinausreichende sozialpolitische, sozialpädagogische und therapeutische Maßnahmen, die freilich nicht immer erfolgreich sind, aber auch im Hinblick auf die Entwicklungsprozesse der Kinder meist zu spät kommen. § 37 Abs. 1 S. 2 KJHG fordert inzwischen immerhin, dass „durch Beratung und Unterstützung ( ) die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums (...) verbessert werden (...)“ und knüpft damit bei eben diesem Standpunkt des BVerfG an, wonach sich nämlich das Verhalten der Eltern „in dem für die Entwicklung des Kindes entscheidenden Zeitraum“ [19] ändern muss. Die Liste der Inpflegegabegründe korreliert mit den von Münder[20] und Mitarbeitern ermittelten Gefährdungslagen, bei denen gerichtliche Schutzmaßnahmen gem. §§ 1666, 1666a BGB notwendig waren: Die Gefährdungslagen der 318 in dieser Erhebung untersuchten, repräsentativ ausgewählten Fälle von Kindern und Jugendlichen setzten sich wie folgt zusammen, wobei auch hier Mehrfachnennungen erfolgten:

 

Vernachlässigung 207 65,1%

Seelische Misshandlung 117 36,8%

Körperliche Misshandlung 75 23,6%

Elternkonflikte ums Kind 75 23,6%

Sexueller Missbrauch 53 16,7%

Autonomiekonflikte 41 12,9%

Sonstiges 74 23,3%

 

 

Hierbei darf nicht übersehen werden, dass nach Schätzungen „nur“ für etwa die Hälfte aller Pflegekinder in Deutschland gerichtliche Schutzmaßnahmen gem. §§ 1666, 1666a BGB erfolgten, die andere Hälfte der Pflegekinder „freiwillig“, d.h. lediglich ohne Gerichtsbeschluss untergebracht wurde, weil zwar „eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung in der Herkunftsfamilie nicht gewährleistet“ war, d.h. eine oder zumeist aber mehrere der genannten Inpflegegabegründe vorlagen, das Jugendamt aber glaubt, aufgrund der „Verhandlungen“ mit den Eltern das Gericht nicht einschalten zu müssen. D.h. dass nach Ansicht des Jugendamtes die Schwelle des § 50 Abs. 3 KJHG noch nicht erreicht schien. Nachgewiesen und in zahlreichen Untersuchungen belegt ist auch, dass die Jugendhilfe in Deutschland – entgegen Behauptungen in der Boulevardpresse und anderen Medien - nicht leichtfertig Kinder von ihren Eltern trennt; im Gegenteil ist sie in den letzten Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert[21], zu lange zuzuwarten und auch in aussichtslosen Fällen unzureichende ambulante Hilfeformen einzusetzen und das ganze Hilfsrepertoire erst ´mal auszuprobieren, um nicht fremdplatzieren zu müssen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass der jüngste Referatsentwurf[22] aus dem BMFSFJ die Bedeutung des Kindesschutzes auf der programmatischen wie auf der Handlungsebene stärker als bisher im KJHG verankert wissen will; dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Strafprozessen gegen Mitarbeiter der Jugendhilfe wegen Garantenpflichtverletzungen[23].

 

 

Bereits die regierungsamtliche Begründung zu § 33 KJHG geht davon aus, dass wegen des verstärkten Ausbaus qualifizierter ambulanter Hilfen für die Fremdplatzierung zunehmend nur noch solche Kinder und Jugendliche in Betracht kommen, die nicht mehr über familienunterstützende Hilfen in den Herkunftsfamilien erreicht werden können[24]. Nur 39 Prozent der Pflegekinder kehrten wieder in ihre familiären Verhältnisse zurück (zu Eltern, zu einem Elternteil mit Stiefelternteil/ Partner, zu einem alleinerziehenden Elternteil, zu Großeltern/ Verwandten)[25]. Wie stabil diese Arrangements nach Rückkehr allerdings sind, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Doch wäre es verfehlt, davon auszugehen, dass es in diesen Fällen überhaupt keiner weiteren stationären Unterbringung mehr bedarf – dies wird nach Praxisberichten etwa für die Hälfte dieser in die Herkunftsfamilie aufgenommenen Minderjährigen erneut notwendig.

 

 

Hinsichtlich der Rückkehrwahrscheinlichkeit in die Herkunftsfamilie vollzieht sich kein Wandel der Vollzeitpflege - hatte doch der 8. Jugendbericht bereits darauf hingewiesen, dass 60 Prozent der Pflegekinder in den Pflegefamilien bleiben und in ihnen groß werden[26]. Angesichts dieser Tatsachen machen Beteuerungen zum prinzipiellen Vorrang der Rückkehroption wenig Sinn, weil ausschließlich das Wohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen ausschlaggebend ist. Für sie gilt es, stabile und ihrem Wohl förderliche und auf Dauer angelegte Lebensformen zu sichern (vgl. § 37 Abs. S. 4 KJHG). Im übrigen: Immer wieder wird bezüglich des Vorrangs der Rückkehroption wie des grundsätzlich bestehenden Umgangsrechts auf das Bundesverfassungsgericht verwiesen. In der ersten, für Pflegekindschaftsfälle wichtigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) heißt es:

 

Wenn die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB bei der Wegnahme des Kindes nicht vorlagen, wird verstärkt nach Möglichkeiten gesucht werden müssen, um die behutsame Rückführung des Kindes erreichen zu können. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass § 1632 Abs. 4 BGB Entscheidungen ermöglicht, die aus der Sicht der Eltern nicht akzeptabel sind, weil sie sich in ihren Elternrechten beeinträchtigt fühlen. Die Verknüpfung von Rechten und Pflichten unterscheidet das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG von anderen Grundrechten; hierbei ist die Pflicht nicht lediglich eine das Recht begrenzende Schranke, sondern ein wesensbestimmender Bestandteil des Elternrechts“[27].

 

 

Wie bereits oben dargestellt, liegen bei der Mehrzahl aller Pflegekinder zum Zeitpunkt ihrer Fremdplazierung die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB vor, auch wenn es aus unterschiedlichen Gründen nicht zu einem gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage dieser Vorschrift gekommen ist. Bereits früher hatte das BVerfG bezüglich des Schutzes des Elternrechts festgestellt:

 

Dieser Grundrechtsschutz [aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG] darf aber nur für ein Handeln in Anspruch genommen werden, das bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern noch als Pflege und Erziehung gewertet werden kann, nicht aber für das Gegenteil: die Vernachlässigung des Kindes. Die Verfassung macht dies durch die Verknüpfung des Rechts zur Pflege und Erziehung mit der Pflicht zu dieser Tätigkeit deutlich. Diese Pflichtenbindung unterscheidet das Elternrecht von allen anderen Grundrechten (….). In Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Recht und Pflicht von vornherein unlöslich miteinander verbunden; die Pflicht ist nicht eine das Recht begrenzende Schranke, sondern ein wesensbestimmender Bestandteil dieses „Elternrechts“, das insoweit treffender als „Elternverantwortung“ bezeichnet werden kann (….) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (….) schützt nicht diejenigen Eltern, die sich dieser Verantwortung entziehen“[28].

 

Wenn die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB, d.h. Gefährdungslagen gegeben waren oder wenn andere durch den beabsichtigten Umgang oder die beabsichtigte Herausnahme nunmehr bestehen[29] - es kann sich durchaus um andere Gefährdungsgründe als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Intervention handeln, sind Einschränkungen des Elternrechts auf Umgang und/ oder Herausgabe zulässig und geboten, weil Elternrechte nicht nur um ihrer selbst willen bestehen, sie vielmehr immer die gebotene Rücksichtsnahme auf das Kind fordern; niemals darf ihre Ausübung in eine Kindeswohlgefährdung ausarten[30]; Elternrechte sind weder Herrschaftsrechte noch gar mit der Rechtsposition von Eigentümern oder Besitzern auch nur vergleichbar. Kinder dürfen niemals als „Schadensersatz“ benutzt werden, auch wenn die Eltern von noch so schweren Schicksalsschlägen und/ oder extremer gesellschaftlicher Benachteiligung betroffen waren. Die bereits zitierte Untersuchung von Münder u.a. zu Interventionen wegen Kindeswohlgefährdung enthält eine weitere m.E. auch für die rechtliche Handhabung von Pflegekindschaftsfällen wichtige Beobachtung: „Für jeden siebenten Minderjährigen, für den Teile der Personensorge entzogen waren, gab es Überlegungen zur Rückübertragung dieser elterlichen Sorgerechte“[31]. Diese prognostische Skepsis der Jugendämter ist nur konsequent, sie steht am Ende intensiver, oft langjähriger, jedoch gescheiterter Bemühungen um Veränderungen in der Herkunftsfamilie. Hier sind die Chancen für eine Realisierung der Rückkehroption eben extrem ungünstig. Diese Einsicht sollte bei diversen Fragen der Zukunftsplanung für die betroffenen Kinder, insbesondere bei Umgangsregelungen von Bedeutung sein. Inkonsequent ist hierbei vor allem, dass trotz dieser eindeutigen Erfahrungen und darauf gestützter Prognosen in vielen Pflegekindschaftsfällen keine jugendamtlichen Aktivitäten anzutreffen sind, um die vom Gesetz geforderte „auf Dauer angelegte Lebensform“ (§§ 33 Satz 1, 37 Abs. 1 Satz 4 KJHG) zu sichern. Das KJHG enthält zwar seit 1991 diese grundsätzlich richtige und ehrliche Orientierung. Eine andere Frage ist aber ihre Umsetzung in der jugendamtlichen und gerichtlichen Praxis. Auch hinsichtlich der gesetzlich geforderten Prüfung der Möglichkeit einer Adoption (§ 36 Abs. 1 Satz 2 KJHG) und der Verpflichtung zur Prüfung der Übertragung der Amtspflegschaft/-vormundschaft auf eine Einzelperson (§ 56 Abs. 4 KJHG) bleiben erhebliche Zweifel bezüglich der Realisierung dieser gesetzlichen Vorgaben in der Praxis.

 

4. Lebensgeschichtliche Erfahrung und Zukunftsplanung

in Pflegekindschaftsverhältnissen

 

Das oft anhaltende Belastungs- und Konflikterleben in bedrohlich deprivierten Lebenssituationen macht einen besonderen Schutz dieser Kinder notwendig. Psychologen unterschiedlicher Schulen warnen deutlich vor Retraumatisierungen durch Umgang beziehungsweise vor einem gut belegten Prozess der Sensitivierung, d.h. betroffene Kinder neigen in der Konfrontation mit früheren Erfahrungen familiärer Gewalt zu einer zunehmend heftiger Verstörungs- und Belastungsreaktion, wie sich auch durch physiologische Messungen nachweisen lässt[32]. Ob und wann Kinder mit solchen Erfahrungen ihren Eltern ohne weitere zusätzliche Belastungen begegnen können, ist eine äußerst schwierige Frage, die häufig übersehen oder von Juristen ohne Hinzuziehung von Expertenwissen nach der „Lebenserfahrung“[33] beantwortet wird. Die positive Entwicklung vieler Pflegekinder bei ihren Pflegeeltern sollte nicht auf ihre hohe Belastbarkeit schließen lassen; ihre positive Entwicklung hängt nicht zuletzt mit dem Ende ihrer bedrohlichen Erfahrungen und den Erfolgen vielfältiger pädagogisch-therapeutischer Hilfen zusammen. Diese Entwicklung wird durch den Umgang immer wieder erheblichen Belastungen ausgesetzt. Auch die Psyche von Kleinkindern scheint traumatische Erfahrungen zu speichern; nicht zuletzt daraus lassen sich Verwirrung, Erstarrung und Angst vieler Kinder in solchen Situationen erklären. Nachdenklich machen sollte alle beruflich mit Umgangskonflikten in diesem Bereich Tätigen ein Hinweis der Psychoanalytikerin und Rechtswissenschaftlerin Gisela Zenz:

 

 

"Keinem Traumatherapeuten würde es einfallen, in der Arbeit mit tramatisierten Menschen das Opfer immer wieder mit seinem Peiniger zu konfrontieren, um dadurch die Aufarbeitung dieser Erfahrungen zu ermöglichen. Im Gegenteil – die gesamte Psychotherapieforschung belegt, dass die Aufarbeitung von Gewalt- und Leiderfahrungen nicht möglich ist, ohne eine sichere Distanz zu diesen Erlebnissen und ohne den Beistand eines Menschen, der eindeutig und verlässlich auf Seiten des Patienten steht – sei es in einer therapeutischen oder in einer real gelebten Beziehung – wie z.B. in einer Pflegefamilie“[34].

 

Forcierter Umgang kann bei schwer beeinträchtigten und traumatisierten Kindern sogar einen zusätzlichen „Risikofaktor im Hinblick auf die gelingende Bewältigung ihrer vielfältigen Entwicklungsstörungen“ bedeuten[35]. Auf die Gefahren von retraumatisierenden Umgangskontakten für die Gehirnentwicklung macht die jüngste Traumaforschung aufmerksam[36]. Auch das Bundesverfassungsgericht hat vor den Folgen einer Traumatisierung des Kindes gewarnt:

 

Es ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, bei einer Entscheidung nach §§ 1666, 1666a BGB die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie - unter Berücksichtigung der Intensität entstandener Bindungen - einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Beschwerdeführerin auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung des Kindes gering zu halten. Nur so tragen die Instanzgerichte neben dem Elternrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auch dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>) und der Grundrechtsposition der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG Rechnung (vgl. BVerfGE 68, 176 <189>; 79, 51 <60>)“[37].

 

Nicht anders sind die möglichen Gefährdungen von bereits traumatisierten Kindern im Umgangskontext zu behandeln.

 

Vor diesem Hintergrund gerät „die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit der Aufrechterhaltung der Kontakte“[38] bei bereits traumatisierten Kindern unter erheblichen Rechtfertigungszwang. Alle bereits aufgezählten Gefährdungslagen, die zu Fremdplatzierung führen, müssen folglich strengstens daraufhin überprüft werden, ob sie belastende Aus- und Nachwirkungen auf die Umgangssituation haben werden. In einer materialreichen und sensiblen Abhandlung mit dem Titel „Umgangskontakte und Kindeswohl von Pflegekindern“[39] beschreibt Rechtsanwältin Doukkani - Bördner eine fatale, immer wieder anzutreffende Einstellung unter den Akteuren:

 

Solange die Verletzungen und Beeinträchtigungen des Kindes sichtbar sind, steht das Wohl des Kindes bei den beteiligten Richtern, Jugendämtern und anderen Helfern an erster Stelle. Sobald aber für das Kind in der Pflegefamilie eine Verbesserung seiner Situation eingetreten ist und es sich körperlich und seelisch zu erholen beginnt, verlagert sich das Mitgefühl der beteiligten Ämter und Gerichte schnell auf die leiblichen Eltern, deren äußere Situation in der Regel wesentlich schwieriger ist als die der Pflegefamilie. Hier sollen dann nach der Vorstellung mancher Jugendämter, Richter oder sogar Gutachter möglichst häufige Besuchskontakte mit dem Pflegekind helfen, die psychische Not der Herkunftsfamilie zu lindern“.

 

Das Kindschaftsrechtsreformgesetz wollte nachweislich die Anzahl und Notwendigkeit der Fälle von Umgangsausschluss oder Umgangsbeschränkung bei „Scheidungskindern“ begrenzen. Zu Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs mit wegen Gefährdungen fremdplatzierten Kindern hat sich der Gesetzgeber explizit nicht geäußert, schon gar nicht kann ihm unterstellt werden, er habe auch für diese Fallkonstellationen die Schwelle für Beschränkungen erhöhen wollen. Es bleibt dabei: Kindeswohlgefährdungen bei und durch Umgang müssen i.d.R. zum Ausschluss des Umgangs führen. Manche Gerichte weichen, wie aus der Praxis berichtet wird, dieser sicherlich nur schwer zu treffenden Entscheidung aus, indem sie „betreuten Umgang“ auch in solchen Fällen anordnen, die früher eindeutig zum Umgangsausschluss geführt hätten; andere Gerichte stellen - wie noch zu zeigen sein wird - auch im Umgangskontext das Wohl des Kindes und nicht die Bedürfnisse der erwachsenen Beteiligten des Verfahrens in den Mittelpunkt.

 

Sicherlich ist es äußerst belastend für den Richter[40], Eltern gegenüber den Umgang auszuschließen. Mit diesen psychischen Belastungen der professionellen Akteure dürften viele der aus Kindeswohlgründen an sich unzulässigen „Kompromisse“ in der familiengerichtlichen Praxis zusammenhängen - nach dem Motto „die Eltern kriegen zwar das Kind nicht, aber ein Umgang muss ihnen aber (zum Ausgleich) eingeräumt werden“. Hinzu treten die in der beruflichen Sozialisation von Juristen prägenden Gerechtigkeitsideale; eine dieser Gerechtigkeitsvorstellungen findet sich in der „verteilenden Gerechtigkeit“ (justitia distributiva); die Justitia wird in Allegorien häufig als nicht sehend[41], mit der Waage und mit dem Schwert dargestellt. Im Bereich vermögensrechtlicher Streitigkeiten, die ja die Ausbildung von Juristen im Zivilrecht beherrschen, mag dieses Gerechtigkeitsideal zu akzeptablen Kompromissen beitragen: Jeder bekommt etwas, wenn auch nicht soviel wie gedacht. Keiner soll sich als Verlierer, jeder am Ende des Verfahrens als Gewinner sehen (sog. Win-Win-Situation). Dies mag bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten – auch bei vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen anlässlich Trennung und Scheidung - tatsächlich dem Rechtsfrieden dienen, Kompromisse erleichtern und den Justizhaushalt schonen. Es geht in zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren hingegen, wie schon die Bezeichnung dieser Verfahren besagt, häufig nicht um die Herstellung von „Gerechtigkeit“ im herkömmlichen Sinne; die klassischen zivilrechtlichen Instrumentarien zur Kompensation sind hier verwehrt[42]; es geht meistens um die schwierige Suche nach der „am wenigsten schädlichen Alternative“[43], eine Formel, die darauf hinweist, „dass das betreffende Kind bereits ein Opfer seiner sozialen Umweltbedingungen geworden ist, dass es in hohem Maße gefährdet ist, und dass schnelles Handeln geboten erscheint, damit weiterer Schaden von der gesunden psychischen Entwicklung abgewendet werden kann“[44]. In zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren – einem mit guten Gründen von der Inquisitionsmaxime gem. § 12 FGG bestimmten Verfahren - gibt es nur ein Ideal und Ziel des Verfahrens:

 

Bei Entscheidungen in diesem Bereich bildet nach Art. 6 Abs. 2 GG das Wohl des Kindes immer den Richtpunkt, so dass bei Interessenkollisionen zwischen dem Kind und seinen Eltern sowie den Pflegeeltern das Kindeswohl letztlich bestimmend sein muss. Es ist hierbei nicht auszuschließen, dass Entscheidungen ergehen, die aus der Sicht der Eltern nicht akzeptabel sind, weil sie sich in ihrem Elternrecht beeinträchtigt fühlen[45].

 

Mitleid mit den Eltern ist menschlich verständlich, aber ein schlechter Ratgeber für die richterliche Entscheidung und für das Handeln von Jugendamtsmitarbeitern. Gefordert sind in diesen schwierigen Arbeitsfeldern „Einfühlungsvermögen und Realitätssinn“[46] Um mit Belastungen dieser u.ä. Art besser umgehen zu können, sollten Familien- und Vormundschaftsrichter bzw. Mitarbeiter der Kinder- und Jugendbehörden die notwendige Unterstützung etwa in Balint- oder Supervisionsgruppen erfahren.

 

5. Bedeutung und Reichweite von § 1684 BGB

für Umgangsregelungen bei Pflegekindern

 

Das „Recht des Kindes auf Umgang“ mit jedem Elternteil“ in § 1684 Abs. 1 BGB zielt eindeutig auf die Situation nach Trennung der Kindeseltern. Auch die Wohlverhaltensklausel in § 1684 Abs. 2 BGB zielt auf getrennt lebende Eltern, stößt auch dort, etwa bei häuslicher Gewalt, eindeutig auf Grenzen und kann bei Kindern, die erheblichen Gefährdungen durch ihre Eltern ausgesetzt waren und deshalb fremdplatziert werden mussten, keine uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen. Pflegeeltern sollen eine akzeptierende, von gegenseitigem Verständnis und Achtung geprägte Beziehung den leiblichen Eltern gegenüber entwickeln, die es dem Kind ermöglicht, ohne Loyalitätskonflikte positive Beziehungen zu Pflegeeltern und leiblichen Eltern zu entwickeln. Diese bereits von Wissenschaftlern[47] und erfahrenen Praktikern[48] kritisierte Verhaltenserwartung, aber auch eine immer wieder den Pflegeeltern abverlangte neutrale Haltung, kann sich verheerend auf das Kind auswirken: Es ist eine unehrliche So-tun-als-ob-Strategie, eine Doppelmoral, eine Unehrlichkeit. Wollen Pflegeeltern den Kindern gegenüber glaubwürdig bleiben, so stößt die hier geforderte Loyalitätspflicht eindeutig an Grenzen; früher oder später taucht u.a. die Frage auf: „Warum konnte ich nicht bei meinen Eltern bleiben?“. „Warum setzten mich meine (Pflege-)Eltern immer wieder solchen für mich beängstigenden Situationen voller Stress aus? Können sie mich nicht schützen?“ Wollen Pflegeeltern glaubwürdig bleiben – generell wird für pädagogische Beziehung Authentizität empfohlen, werden sie wahrheitsgemäße Antworten dem Kind gegenüber schulden – ohne die Eltern „schlecht zu machen“, sofern sie über die entsprechenden Informationen überhaupt verfügen. Pflegeeltern werden jedenfalls dem Kind gegenüber eine eindeutige Haltung einnehmen müssen, sonst werden sie als Pflegeeltern unglaubwürdig. Liegt nicht in dieser Unglaubwürdigkeit der Welt der Erwachsenen, in der verbreiteten Doppelmoral, im Verleugnen von Tatsachen, in diesem So-tun-als-ob die Ursache vieler gesellschaftlicher Probleme – und vielleicht auch eines der zentralen Probleme des Pflegekinderwesens in Deutschland?!

 

6. Umgang bei Pflegekindern ohne traumatische Erfahrung

 

Zweifelsohne: nicht nur traumatisierte und/ oder schwer vernachlässigte Kinder leben bei Pflegeeltern und zweitens: es gibt gute und unproblematische Kontakte zwischen Pflegekindern und ihren Eltern ohne Schwierigkeiten. Beiden Aussagen kann nicht widersprochen werden. Nur, in welchen Fallkonstellationen und unter welchen Umständen gibt es solche positiven Verläufe? Hier wären repräsentative Untersuchungen gerade von positiv verlaufenden Umgangskontakten zwischen Pflegekindern und ihren Herkunftsfamilien hilfreich. Eine der wichtigsten bereits genannten Voraussetzungen für möglichst wenig verunsichernde Kontakte ist die Klarheit hinsichtlich der Zukunftsperspektiven des Pflegeverhältnisses[49]. Die geforderte „Hierarchie der wichtigen Regelungsaufgaben“ fordert hier eindeutig, zuerst den generellen Aufenthalt zu regeln und somit die mittel- und langfristige Perspektive des Pflegekindschaftsverhältnisses zu klären. Handelt es sich um einen Fall ohne traumatisierende Erfahrungen auf Seiten des Kindes[50], um einen vorübergehenden Ausfall von Eltern wegen Krankheit o.ä., dann kommt dem Umgang eine zentrale Bedeutung zu, die oben beschriebenen Gefährdungen durch Umgang sind kein Thema. Allerdings: Wenn überhaupt ein solches Kind fremdplatziert werden muss - warum finden sich keine Lösungen in Verwandschaft oder Nachbarschaft? Warum kommen keine ambulanten Maßnahmen in Betracht? Ein solches Kind ist räumlich und sozial so nahe wie nur möglich am Herkunftsmilieu zu plazieren; je mehr und je häufiger es Umgang hat und ihm seine Bezugswelt (Schule, Freunde, Verwandtschaft) soweit wie nur möglich erhalten bleibt, um so besser sind die Chancen einer alsbaldigen Realisierung der Rückkehroption: Die Herkunftsfamilie sollte so viele der Elternfunktionen wie nur möglich behalten bzw. sobald wie möglich alle nach und nach von den Pflegeeltern wieder übernehmen[51]. Vielleicht kann sie partiell trotz der Notwendigkeit vorübergehender Unterbringung manche Elternaufgabe behalten und wahrnehmen. Funktionierender Umgang ist hier der beste Schlüsselindikator für die alsbald zu realisierende Rückkehroption mit der Übernahme sämtlicher Elternaufgaben[52]. „Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird“ (§ 37 Abs. 1 Satz 3 KJHG). Über die Gestaltung eines solchen Konzepts und ihres gelingenden Ausgangs kann man vieles im Dokumentarfilm „Jane“ des Ehepaares James und Joyce Robertson[53] unmittelbar miterleben. Es gibt auch zahlreiche positiv verlaufende Umgangskontakte bei auf Dauer angelegten Pflegekindschaftsverhältnissen. Das Geheimnis hier ist banal: Hier handelt es sich nicht um traumatisierte oder schwer vernachlässigte Kinder und vor allem wurde in diesen Fällen die „Hierarchie der wichtigen Regelungsaufgaben“ beachtet, d.h. es herrscht Einigkeit zwischen Eltern, Pflegeeltern, Jugendbehörde, ggf. Gericht und Kind über die Zukunftsperspektive des Pflegeverhältnisses. Aus einer gesicherten Perspektive, häufig nach entsprechenden therapeutischen Hilfen, können Kinder ihren Eltern anders begegnen. Zu dieser Klarheit und Transparenz und zur Beendigung der Doppelmoral, die immer auf dem -- Rücken des Kindes ausgetragen wird („Du bleibst auf Dauer bei uns“ - „Du bist bald wieder bei mir“), fordert das seit 1991 geltende KJHG unmissverständlich auf[54]. Elternarbeit mit Eltern fremdplazierter Kindern – ob mit oder ohne Rückkehroption – stellt in jedem Falle eine Herausforderung an die Träger der Kinder- und Jugendhilfe dar und könnte eine realistischere Sicht zu den Möglichkeiten und Grenzen der Eltern vermitteln, auch präventiv zum Konfliktabbau beitragen und von besonderer Bedeutung für weitere Kinder in der Herkunftsfamilie werden.

 

7. Zur Notwendigkeit der Differenzierung in der Rechtsprechung

- Beispiele -

 

Das sozialrechtliche Instrumentarium des KJHG hat dazu geführt, dass immer mehr Kinder mit und über ihre Eltern ambulante Hilfen erhalten können, mit denen für einen Teil dieser Kinder ein gesicherter Verbleib in ihren Herkunftsfamilien erreicht werden kann. Die andere zwangsläufige Folge dieses Jugendhilfesystems ist, dass diejenigen Kinder, die dennoch fremdplatziert werden, als erheblich belastet gelten müssen. Erfahrene Heimerzieher wie Pflegeeltern bestätigen diesen Entwicklungstrend. Die Anzahl der Kinder unter den Pflegekindern, die in ihren Herkunftsfamilien schwere und zum Teil andauernde Traumatisierungen erfahren haben, wächst. Diese Erfahrungen spiegeln sich teilweise in Gerichtsentscheidungen zum Umgangsrecht von in Familienpflege lebenden Kindern. Die gesetzliche Vermutung der Kindeswohldienlichkeit von Umgang scheint bei einem Großteil von Pflegekindern mit solchen Lebenserfahrungen widerlegt. Einen Elternteil, der Umgang begehrt, trifft bei Vorliegen der beschriebenen Umstände die Feststellungslast, dass trotz dieser Vorkommnisse von dem angestrebten Umgang für das Kind keinerlei Gefährdungen durch Sensitivierung bzw. Retraumatisierung ausgehen. Die Familiengerichte müssen in solchen vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 12 FGG a.F.) bestimmten Gerichtsverfahren möglichen und nicht auszuschließenden Gefährdungen der Pflegekinder weit mehr Aufmerksamkeit schenken als dies teilweise bislang geschieht. Bei der in diesen Fällen erforderlichen Heranziehung von Gutachtern wird es insbesondere auf das Wissen und die Erfahrung der Gutachter ankommen: Erkenntnisse der Trauma-, Risiko- und Hirnforschung müssen inzwischen von Gutachtern unbedingt berücksichtigt werden. Bei der Lektüre von Gerichtsentscheidungen und Gutachten entsteht jedoch der Eindruck, dass solche Erkenntnisse keineswegs überall Eingang in die entsprechenden Verfahren finden[55]. Zudem bestätigen sich hier Berichte, dass durchaus nicht überall den Kindern nach § 50 FGG Verfahrenspfleger an die Seite gestellt werden[56]. Hinzu tritt leider immer wieder und nicht nur ausnahmsweise eine Überforderung der bestellten Verfahrenspfleger.

 

Während im Mittelpunkt der knapp gefassten Entscheidung des OLG Hamm[57] zum befristeten Ausschluss des Umgangs die Gefährdung der Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung des Kindes zu seinen Pflegeeltern stand, nachdem das OLG keine Möglichkeiten zur Konfliktdämpfung mehr sah und so die Zeit bis zum Abschluß der Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens überbrücken wollte, steht in drei der hier vorgestellten Entscheidungen die persönliche Situation der den Umgang begehrenden Eltern(-teile) sowie deren Auswirkung auf das Kind und in einer Entscheidung die Weigerungshaltung des Kindes im Mittelpunkt. In der zuletzt genannten Entscheidung des OLG Schleswig[58] stand die Frage nach der Auswirkung der Weigerungshaltung eines zum Entscheidungszeitpunkt knapp elf Jahre alten und seit fünf Jahren in der Pflegefamilie lebenden Jungen. Das AG hatte für die Dauer von zwei Jahren den Umgang der Kindesmutter ausgeschlossen. Der Senat würdigt die wesentlichen positiven Veränderungen im Leben der Mutter, misst jedoch der nachhaltigen und vom Senat anlässlich der Kindesanhörung überprüften Weigerungshaltung des Kindes die ausschlaggebende Bedeutung bei:

 

(...)die Persönlichkeitsentwicklung des - mittlerweile nahezu – elfjährigen Kindes (ist) bereits so weit fortgeschritten, dass eine seinem – mehrfach und nachhaltig geäußerten – Willen zuwiderlaufende Kontaktaufnahme eine Gefährdung seiner Entwicklung bewirken würde. Bereits die Befassung mit dem Thema „Umgangsrecht“ ist für das Kind außerordentlich belastend. Um so mehr würde die Zulassung von Kontakten - unter Brechung seines Willens – das Kindeswohl beeinträchtigen. Der angeordnete zeitweise Ausschluss des Umgangs ist derzeit erforderlich, um dem Kind eine – von der Frage des Umgangs unbehelligte – Entwicklung hin zu einer nicht von Ängsten besetzten Persönlichkeit zu ermöglichen.“ Der Junge empfindet die Kontaktversuche der Mutter “als Beginn eines Prozesses, an dessen Ende wieder ein Verlust stehen wird, nämlich das „Verlassenmüssen“ seines jetzigen als Familie empfundenen Lebenskreises, in dem er Geborgenheit gefunden hat. Dieser subjektiven Sicht ist derzeit nicht mit rationalen Erwägungen beizukommen“[59]

 

An der sensiblen Beschreibung der Anhörungssituation und der Reaktionen des Jungen wird deutlich, dass sich der Senat die Abwägung der sich gegenüberstehenden jeweils verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter nicht leicht gemacht hat und seine Entscheidung zwar ohne ausdrücklichen Bezug an der oben beschriebenen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung orientiert hat. Das OLG Celle bestätigt vom Amtsgericht erfolgten Umgangsbeschränkungen auf 1 ½ Stunden in Abständen von sechs Wochen an einem vom Jugendamt zu bestimmenden Ort in Anwesenheit der Pflegeeltern[60]. Ausschlaggeben für das OLG war, dass den Pflegekindern, die weiterhin bei den Pflegeltern blieben müssen, „in erster Linie Sicherheit und Gewissheit vermittelt werden (soll), in der Obhut der Pflegeeltern bleiben zu können“.

 

Von welchen schweren Schicksalsschlägen Eltern betroffen sein können, wird an einer Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 08.05.2002[61] deutlich, ebenso wie ein solches Schicksal von Eltern auch zu langjährigen persönlichkeitsschädigenden Erfahrungen beim Kind führen kann. Dass Mitleid mit den Eltern solche schwierigen Entscheidungen bestimmt, widerlegt diese Entscheidung deutlich. Die Umstände seien nur skizziert: Paranoide Schizophrenie des nicht mehr sorgeberechtigten Vaters, Trennung der Eltern, Motorradunfall der Mutter mit langwieriger Behandlung und Amputation des rechten Unterschenkels, langjährige Alkoholerkrankung der Mutter, Analkrarzinom und daraufhin erfolgender Selbsttötungsversuch der Mutter, erfolgloser Einsatz einer sozialpädagogischen Familienhilfe, Verwahrlosung des Haushalts, Beschimpfung und Schläge, wiederholte schädliche und extreme Überforderungen („langjährige persönlichkeitsschädigende Erfahrungen“) des Kindes. Letztendlich führt diese Gesamtsituation zum Entzug der gesamten elterlichen Sorge durch das OLG Frankfurt am Main, welches den vom Amtsgericht angeordneten Entzug bloß des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Abwendung der Gefahr nicht für ausreichend ansah:

 

Angesichts der langen Traumatisierung des Kindes und aufgrund von dessen Bedürfnissen nach einer gesicherten Bindung und emotionaler Geborgenheit kommt (...) eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter in absehbarer Zeit, und zwar auch bei gleichzeitigem Einsatz von Hilfen zur Erziehung durch einen Erziehungsbeistand oder eine sozial-pädagogische Familienhilfe nicht in Betracht“.

 

Das im Jahre 1992 geborene Mädchen lebte zum Entscheidungszeitpunkt bereits seit knapp zwei Jahren in Familienpflege. Das OLG schließt den Umgang aufgrund der geschilderten Umstände und insbesondere aufgrund von das Kind erheblich belastenden Konflikten anlässlich des Umgangs für die Dauer von zwei Jahren aus; diese Gefährdungen glaubt der Senat auch nicht durch die Anordnung eines begleiteten Umgangs vermeiden zu können, „weil jeder Umgangskontakt mit der Mutter für das Kind immer erneut eine schwere Belastung darstellen würde“. Dass die Mutter die alsbaldige Rückkehr des Kindes auch von diesem wünschte und somit das Kind unter schwerwiegenden Loyalitätskonflikten immer wieder stand, war für den Senat von nicht unerheblicher Bedeutung, wobei der Senat auf die von der Mutter begonnenen Therapie setzte[62]. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist auch die Feststellung des Familiensenats, dass das Kind anlässlich seiner Anhörung durch den beauftragten Richter des Familiensenats „seinen Wunsch nach einem Verbleib in der Pflegefamilie nicht direkt ausdrücken (konnte)[63]. Dieser Wunsch wird jedoch in den Vorstellungen des Kindes von der Ausgestaltung des Alltags immer wieder deutlich erkennbar“. Um zu dieser Einschätzung des Ergebnisses der Kindesanhörung zu gelangen, muss ein Familienrichter von der schwierigen Kommunikation mit Kindern[64] etwas verstehen, eine keineswegs immer gegebene, aber zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Kindesanhörung[65].

 

Auch das OLG Hamm[66] hat in einer auf die Beschwerde der Verfahrenspflegerin am 22.01.2003 ergangenen Entscheidung die Umgangsbefugnis einer Kindesmutter mit ihrem am 07.05.2001 geborenem Sohn, der seit dem 18.06.2001 bei Pflegeeltern untergebracht war, „auf Dauer ausgeschlossen“. Eine solche Entscheidung ist eher ungewöhnlich, jedoch erschien dem Gericht eine diese Anordnung „nach den Umständen des Falles unumgänglich, um eine Gefährdung der körperlichen und seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden, wobei diese Gefahr nicht auf andere Weise ausreichend sicher abgewendet werden kann“. Der Senat stützt sich dabei auf ein Sachverständigengutachten und kommt zur Überzeugung, „dass es nach der derzeitigen Sachlage kein anderes Mittel gibt, als den Umgangskontakt zwischen M. und seiner Mutter auf unbestimmte Zeit zu unterbinden, um Gefährdungen für das seelische Wohl des Kindes abzuwenden“. Wegen psychischer Erkrankung („schizoaffektive Psychose“, „paranoide Psychose“) hatte bereits das Amtsgericht der Mutter das Sorgerecht entzogen. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Gesundheitszustand der Mutter mit einer eigenverantwortlichen Erziehung des Kindes, selbst mit intensiven Hilfsmöglichkeiten nicht vereinbar sei[67].

 

Neben diesen besonderen Umständen des Falles bedarf die Vorgeschichte dieses Umgangsausschlusses besonderer Erwähnung: „Seit der Trennung von Mutter und Kind haben mehr als fünfzig begleitete Umgangskontakte zwischen ihnen stattgefunden“. Über die Zulässigkeit von Umgangsversuchen, die den Charakter von Menschenversuchen annehmen, wäre unter entwicklungspsychologischen, medizinischen, verfassungs- und familienrechtlichen und nicht zuletzt unter (berufs-)ethischen Gesichtspunkten nachzudenken. Diese Umgangsversuche hatten zuletzt dazu geführt, dass das Kind mit erheblichen Aggressionen auf diese immer wiederholte Situation reagiert hat (mit verbalen und tätlich aggressiven Reaktionen auf die Mutter, Entwicklung regelrechter Hassgefühle und einer tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung). Das OLG schloss sich den Einschätzungen der Wirkungen dieses „erzwungenen Umgangs“ auf das Kind auch bezüglich des Verhältnisses des Kindes zu den Pflegeeltern an: „Im Verhältnis zu den Pflegeeltern, seinen Hauptbezugspersonen, werde es dabei negativ erfahren, dass diese nicht in der Lage seien, es vor der ihm sehr unangenehmen Situation zu schützen“. Auch in diesem Fall setzt das Gericht auf eine nicht absehbare mögliche Veränderung durch Therapie der Mutter, die das Familiengericht in Zukunft bei veränderten Verhältnissen veranlassen könnten, die getroffene Anordnung des Umgangsausschlusses auf Dauer abzuändern.

Resümmee

 

1. Die Regelung des Umgangs eines Pflegekindes mit seiner Herkunftsfamilie beurteilt sich nach völlig anderen Mustern als der Umgang im Kontext von Trennung/Scheidung der Kindeseltern. Die Grundannahme positiver Wirkungen von Umgang auf das Kindeswohl und der Beziehungserhalt können bei der Mehrzahl der wegen erheblicher Gefährdungen fremdplazierten Pflegekinder keine Gültigkeit beanspruchen.

 

2. Das frühere Belastungs- und Konflikterleben vieler dieser traumatisierten Pflegekinder birgt die Gefahr von Retraumatisierung bzw. Senisitivierung durch Umgangskontakte und bedroht damit den Erfolg von therapeutischen Prozessen. Die betroffenen Kinder neigen in der Konfrontation mit früheren Erfahrungen angstbesetzter Erlebnisse zu zunehmenden Verstörungen und Angstbelastungen; diese Reaktionen – wie die vorausgegangenen Entwicklungsstörungen - lassen sich inzwischen mit physiologischen Messungen und bildgebenden Verfahren nachweisen. Erkenntnisse der Trauma-, Risiko- und Hirnforschung müssen in diesen Fallkonstellationen unbedingt Eingang in die Entscheidungspraxis finden, mit der richterlichen Lebenserfahrung allein ist es in diesen komplexen Entscheidungssituationen nicht mehr getan.

 

3. Die zivilrechtlichen Gerechtigkeitsideale einer „verteilenden Gerechtigkeit“ oder eine „Win-Win-Situation“ können in Verfahren, die mit gutem Grund vom Amtsermittlungsgrundsatz bestimmtet sind, nicht den Entscheidungsmaßstab bilden: Es handelt sich häufig um bereits in hohem Maße gefährdete oder bereits geschädigte Kinder, die sich mitten im Prozess der Überwindung und Verarbeitung überwältigender Lebenserfahrungen befinden. Bei Entscheidungen in diesem Bereich bildet nach Art. 6 Abs. 2 GG das Wohl des Kindes immer den Richtpunkt, so dass bei Interessenkollisionen zwischen dem Kind und seinen Eltern sowie den Pflegeeltern das Kindeswohl letztlich bestimmend sein muss. Die gesetzliche Vermutung der Kindeswohldienlichkeit von Umgang scheint bei einem Großteil von Pflegekindern mit solchen Lebenserfahrungen widerlegt. Einen Elternteil, der Umgang begehrt, trifft bei Vorliegen der beschriebenen Umstände die Feststellungslast, dass trotz dieser Vorgeschichte von dem angestrebten Umgang für das Kind keinerlei Gefährdungen, auch nicht durch Sensitivierung bzw. Retraumatisierung ausgehen.

 

4. Bei Pflegekindern mit kurzer Aufenthaltsdauer und ohne traumatisierende Erfahrungen als Unterbringungsgrund ist funktionierender Umgang eine der besten und anerkannten Schlüsselindikatoren für die alsbald zu realisierende Rückkehroption mit der Übernahme sämtlicher Elternaufgaben durch die Herkunftsfamilie.

 

5. Mit der im SGB VIII verankerten Interventionsphilosophie einer geplanten, zeit- und zielgerichteten Intervention bietet sich die Chance für einen rational durchschaubaren und gesteuerten Prozess der Hilfeplanung und Unterbringung unter Berücksichtigung des gesetzlich im SGB VIII besonders hervorgehobenem kindlichen Zeitempfindens. Damit böte sich die Chance für mehr Transparenz und für eine Beendigung der fragwürdigen, die Kinder erheblich belastenden Kompromisse zur Besänftigung der Eltern im Umgangsbereich. Elternarbeit mit Eltern fremdplatzierter Kinder – ob mit oder ohne Rückkehroption – stellt in jedem Falle eine Herausforderung an die Träger der Kinder- und Jugendhilfe dar und könnte realistischere Sichtweisen auf die Möglichkeiten und Grenzen der Eltern vermitteln und so auch präventiv zur Konfliktvermeidung, zumindest aber zum Konfliktabbau beitragen.

 

6. Insgesamt zeigen sich erhebliche Forschungsdefizite. Ebenso bestehen nach wie vor erhebliche Informations- und Wissenslücken bei Teilen der Richterschaft und den Mitarbeitern der Jugendämter hinsichtlich der Bedeutung und Auswirkung von traumatischen Erlebnissen, der Gefahren von Retraumatisierung und Sensitivierung. Leider stößt man auch auf Seiten der Gutachter teilweise auf erhebliche Wissenslücken hinsichtlich neuerer Erkenntnisse in den Bereichen

 

Trauma-, Hirn- und Risikoforschung

 

7. In allen gerichtlich ausgetragenen Umgangskonflikten müssen den in Familienpflege lebenden Kindern und Jugendlichen erfahrene, sensible, unabhängige und für diese Aufgabe qualifizierte Verfahrenspfleger an die Seite gestellt werden.

Quelle

 

[1] Statistisches Bundesamt, Familiengerichte, Arbeitsunterlage, Wiesbaden 2003, S. 10, Nr. 17: Im Jahre 2002 waren 33.800 Verfahren bei den Familiengerichten zur Regelung des Umgangs anhängig.

[2] BGHSt, NStZ 2004, 94.

[3] Keidel/Kahl, FGG15, § 20 Rn 65; BGH, FamRZ 2000, 219; OLG Köln, FamRZ 2000, 1241.

[4] Nachweise bei Staudinger/Salgo (2002), § 1632 Rn 47ff.

[5] Kaltenborn, Kindheitsbilder und Expertenwissen, DISKURS 1998, Jg, 54

[6] BT-Drucks. 13/4899, 105 r. Sp.

[7] Ebd.

[8] Staudinger/Coester, (2000), BGB, § 1666 Rn 130, Berlin 2000.

[9] Vgl. zu solchen Entwicklungstrends Kindler/Salzgeber/Fichtner/Werner, Familiäre Gewalt und Umgang; FamRZ 2004 (im Erscheinen).

[10] Bruch, Parental Alienation Syndrome und Parental Alienation – Wie man sich in Sorgerechtsfällen irren kann, FamRZ 2002, 1304, 1313f.

[11] Vgl. hierzu Salgo, Häusliche Gewalt und Umgang, in: Fegert/Ziegenhain, Hilfen für Alleinerziehende, Winheim 2003, S. 108ff und insbes. Kindler/Salzgeber/Fichtner/Werner, Familiäre Gewalt und Umgang; FamRZ 2004 (im Erscheinen) m.w.A,.

[12] Vgl. z.B. AG Lahr, FamRZ 2003, 1861, wo das Gericht, der Gutachter und der Verfahrenspfleger die traumatischen Erfahrungen des Kindes als Ursache seiner Weigerungshaltung verkennen.

[13] Vgl. insbes. Zenz, Zur Bedeutung der Erkenntnisse von Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung für die Arbeit mit Pflegekinderrn, ZfJ 2000, 321 sowie HB-VP/Zenz Rn 646 ff m.w. Nw.

[14] Zum Gesamtkomplex vgl. Salgo, Pflegekindschaft und Staatsintervention; Darmstadt 1987, S. 299ff. sowie Fegert, Die Auswirkungen traumatischer Erfahrungen in der Vorgeschichte von Pflegekindern, in:, Stiftung zum "Wohle des Pflegekindes" (Hrsg.), 1. Jahrbuch des Pflegekinderwesens, S. 20ff., Idstein 1998.

[15] GK-SGB VIII/Salgo Erl. zu § 33, Neuwied 1998.

[16] Vgl. Wallerstein u.a., Scheidungsfolgen – Die Kinder tragen die Last, Münster 2000.

[17] Vgl. Kindler/Salzgeber/Fichtner/Werner, Familiäre Gewalt und Umgang; FamRZ 2004 (im Erscheinen).

[18] Vgl. hierzu Fegert, (Anm14), S. 20ff., 29.

[19] BVerfGE 24, 119, 146.

[20] Münder u.a., Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz, Münster 2000, S.99.

[21] Stichworte wären der sog. Osnabrücker Fall – vgl. Salgo, „Helfen mit Risikominderung“ für das Kind, in: Wächteramt und Jugendhilfe, Frankfurt am Main 2001, S. 17ff. m.w. Nw., der „Stuttgarter Fall“ und die jüngsten von außen kaum nachvollziehbaren Ereignisse in Saarbrücken; vgl. auch Wiesner, Zur gemeinsamen Verantwortung von Jugendamt und Familiengericht für die Sicherung des Kindeswohls, ZfJ 2003, 121, 127; ders., ZfJ 2004, 161ff.

[22] Entwurf eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder und Jugendhilfe, Stand 2. April 2004, §§ 8a, 42, 72a des Entwurfs.

[23] Vgl. ZfJ 2004, Heft 5 mit Schwerpunkten zur dieser Thematik einschließlich der Empfehlung des Deutschen Städtetages.

[24] BT-Drucks. 11/5948, S. 71.

[25] KomDat-Jugendhilfe, 2/98, S.2.

[26] BT-Drucks. 11/6576, S.149.

[27] BVerfGE 68, 176,189f.

[28] BVerfGE 24, 119, 143. Zu dieser Entscheidung vgl. auch Salgo, In welchen Fällen darf der Staat die verweigerte elterliche Einwilligung in die Adoption des Kindes durch Richterakt ersetzen, KritV 2000, 344.

[29] BVerfGE 88, 187, 196.

[30] BVerfG, FamRZ 1993, 1420, 1421; BVerfGE 68, 176, 188.

[31] Münder/Schone/Körber/Mutke/Them, Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz – eine Fallerhebung, Diskussionsbeiträge, Institut für Sozialpädagogik, Technische Universität Berlin, Oktober 1998, S. 69.

[32] Kindler/Salzgeber/Fichtner/Werner, Familiäre Gewalt und Umgang; FamRZ 2004 (im Erscheinen).

[33] Hierzu bereits Coester, Das Kindeswohl als Rchtsbegriff, Frankfurt am Main 1982 , S. 178f. m.w.Nw.

[34] Zenz (Anm. 13), 326.

[35] Diouani, Umgang bei Pflegekindschaft – Das Wohl des Kindes in Umgangsfragen gem. § 1684 BGB, Diplomarbeit, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität, 2003, S. 54 (im Erscheinen); vgl. auch ebd. den Hinweis auf die Möglichkeit hirnorganischer Fehlentwicklungen durch wiederholte, intensive Angstgefühle (ebd.), S. 56ff. m.w.Nw.

[36] Vgl. Hüther, Die Folgen traumatischer Kindheitserfahrungen für die weitere Hirnentwicklung, in: Hopp/Lambeck/Hüther/Siefert, Traumatisierte Kinder in Pflege- und Adoptivfamilien, Ratingen 2002, S. 20ff.

[37] BVerfG, FamRZ 2000, 1489.

[38] So die Forderung von Faltermeier, Verwirkte Elternschaft? Fremdunterbringung – Herkunftseltern – Neue Handlungsansätze, Münster 2001, Münster 2001,, S. 26.

[39] Kindeswohl 2/20001, S. 9, 10.

[40] Vgl. etwa den Diskussionsbeitrag des damaligen Vormundschaftsrichters Carl, 54. DJT, München 1982, I 93f.

[41] Vgl. § 50b Abs. 1 FGG: „(...) sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft“.

[42] Hierzu Schwab, FamRZ 2002, 1297; bereits Salgo, FamRZ 1984, 221, 225.

[43] Goldstein/Freud/Solnit, Jenseits des Kindeswohls, S. 49.

[44] Ebd.

[45] BVerfGE 68, 176, 188ff.

[46] Goldstein/Freud/Solnit,/Goldstein, Das Wohl des Kindes, Frankfurt am Main 1988, S. 107

[47] HB-VP/Zenz Rn 698.

[48] Nienstedt/Westermann, Pflegekinder, Münster 1998, S. 220ff.

[49] Diouani (Anm. 35), S. 53ff.

[50] Vgl. HB-VP/Zenz Rn 689f.

[51] Vgl. Interview mit Joseph Goldstein, NP 1986, 333, 334f.

[52] Staudinger/Salgo (2002), § 1632 Rn 95.

[53] Zu beziehen über den Wissenschaftlichen Filmdienst in Göttingen. Vgl. auch James und Joyce Robertson, Reaktionen kleiner Kinder auf kurzfristige Trennung von der Mutter im Lichte neuer Beobachtungen, Psyche 1975, 626.

[54] GK-SGB VIII/Salgo Erl. zu § 33, Neuwied 1998.

[55] Als Musterbeispiel für die Verleugnung der Auswirkungen von h

häuslicher Gewalt durch Gutachter und Gericht vgl. AG Lahr, FamRZ 2003, 1861.

[56] Vgl. HB-VP/Salgo Rn 1ff..

[57] FamRZ 2000, 1108.

[58] FamRZ 2000, 48.

[59] Ebd. 49.

[60] OLG Celle, FamRZ 2000, 48.

[61]OLG Frankfurt am Main vom 08.052002, Az.: 1 UF 312/01.

[62] Zum Therapieerfolg vgl. insbes. BH-VP/Zenz Rn 690.

[63] Zur Bedeutung des Kindeswillens in selbstgefährdenden Situationen vgl. insbes. Zitelmann, (Fn 42), S. 85, 284ff.

[64] Hierzu HB-VP/Fegert, Rn 719ff.

[65] Vgl. Lempp u.a., Die Anhörung des Kindes gemäß § 50b FGG, Köln 1987.

[66] OLG Hamm, 10 UF 126/02 v. 22.01.2003.

[67] Vgl. auch BVerfG, FamRZ 2000, 1489 zur Situation, in welcher die Beschwerdeführerin „auf Grund ihrer Krankheit nicht in der Lage ist, dem Kind die notwendigen Hilfestellungen bei einer Bewältigung seines Trennungstraumas zu geben“.